Mittwoch, 8. Januar 2014

Foodsharing: Lebensmittel für Teller statt Tonne

Konstanz -  Eine Gruppe von über 20 jungen Menschen engagiert sich gegen Lebensmittelverschwendung und setzt sich für Weiterverwendung ein. Die Foodsharing-Initiative kooperiert auch mit der Konstanzer Tafel.

Die Lebensmittelretter Raja Kraus, Miguel Zeus Mora Alvarez, Jan Heider, Florentine Cornelius und Angela May (von links) sind auf dem Markt unterwegs und haben  Lebensmittel ergattert. Diese geben sie kostenlos an alle weiter, die Verwendung dafür haben.
Die Lebensmittelretter Raja Kraus, Miguel Zeus Mora Alvarez, Jan Heider, Florentine Cornelius und Angela May (von links) sind auf dem Markt unterwegs und haben Lebensmittel ergattert. Diese geben sie kostenlos an alle weiter, die Verwendung dafür haben.


„Was haben wir denn heute für euch?“, murmelt der bärtige Verkäufer auf dem Konstanzer Wochenmarkt. Er geht kurz hinter seinen Wagen, während Raja Kraus in der Kälte wartet. Mit einem Kürbis unter dem Arm kommt der Verkäufer zurück. „Mehr gibt es heute leider nicht“, sagt er. „Umso besser“, antwortet die 20-jährige Studentin und nimmt den Kürbis entgegen.

Kraus gehört zu den Lebensmittelrettern Konstanz. Seit Juni sind in der Gruppe über 20 junge Menschen aktiv, um sich gegen Überproduktion und Lebensmittelverschwendung einzusetzen. Vier Mal pro Woche fahren sie den Markt und die Konstanzer Tafel an. Dort holen sie Nahrung ab, die niemand mehr kaufen möchte, obwohl man sie noch ohne Bedenken essen kann.

„Wir leben in einem solchen Überfluss“, sagt Susanna Güttler und schüttelt den Kopf. Die 29-jährige Produktentwicklerin hat die Lebensmittelrettergruppe in diesem Jahr ins Leben gerufen. Es gab damals bereits eine Gruppe im sozialen Internet-Netzwerk Facebook mit dem Namen Foodsharing Konstanz. Dort teilten vor allem Privatpersonen mit, wenn sie Lebensmittel verschenken wollten. In dem Forum fand Güttler problemlos Menschen, die das Prinzip Foodsharing (Lebensmittel teilen) größer aufziehen wollten. Nach dem ersten Treffen folgten schnell konkrete Ideen. Mittlerweile kooperiert die Gruppe mit vielen Verkäufern des Konstanzer Wochenmarktes. „Die Leute freuen sich total, wenn sie nichts wegwerfen müssen“, berichtet Kraus. Den Lebensmittelrettern ist es wichtig, nicht als Konkurrenz zum Einkaufen auf dem Markt angesehen zu werden. „Wir sind keine Schnorrer, die Lebensmittel noch günstiger haben wollen“, stellt Kraus klar. Im Gegenteil, die Gruppe setze sich dafür ein, dass Nahrung wieder mehr geschätzt wird. Das heißt zum einen, dass Nahrungsmittel, die noch essbar sind, nicht weggeworfen werden. Zum anderen geht es auch darum, Lebensmittel bewusster zu konsumieren. Um das den Menschen ins Bewusstsein zu rufen, zählt Aufklärung zu den erklärten Zielen der Lebensmittelretter. Anfang November standen sie bereits mit einem Infostand auf dem Augustinerplatz, weitere Aktionen sollen folgen. „Wir bekommen unglaublich viele positive Rückmeldungen“, freut sich Elisa Helms. Die 28-jährige Psychologiedoktorandin ist gemeinsam mit Susanna Güttler Botschafterin der Lebensmittelretter Konstanz. Die beiden halten den Kontakt zu anderen Gruppen in Deutschland und dem Ausland. Gemeinsam wollen die Gruppen auch politisch etwas bewegen. Vor allem sind jedoch die Verbraucher in der Verantwortung, glauben die Konstanzer Lebensmittelretter. „Der Kassenbon ist ein Stimmzettel“, sagt Güttler und meint damit, dass der Verbraucher schon durch die Wahl seiner Einkäufe etwas bewirken könne.

Die Nahrung, die die Gruppe vor der Tonne bewahren konnte, bewahrt sie zurzeit noch in privaten Hausfluren und Treppenhäusern auf. In der Facebookgruppe Foodsharing Konstanz stellen die Mitglieder Fotos der geretteten Lebensmittel ein, die Adresse gibt es meist per Nachricht. „Bisher hatten wir noch nie etwas übrig“, berichtet Helms vom Erfolg des Projekts. Unter den Abholern waren vom Studenten, über den Gastronomen bis hin zum Familienvater schon fast alle Gruppen. Langfristig wollen die Lebensmittelretter einen Raum einrichten, der für alle frei zugänglich ist. Dort könnten auch Privatpersonen überflüssige Lebensmittel hinbringen. Einen Kühlschrank zur richtigen Lagerung der Lebensmittel konnte die Gruppe schon ergattern. „Uns würden auch ein Unterstand oder ein paar Quadratmeter unter dem Dach reichen“, erklärt Helms.
 
Die Lebensmittelretter treffen sich immer sonntags um 18 Uhr. Wer mitmachen oder die Gruppe unterstützen möchte, erreicht sie unter bodensee.foodsharing@gmail.com.


Haftung und Haltbarkeitsdaten

Die Lebensmittelretter von Foodsharing stoßen auf der Suche nach Unterstützung oft auf Vorurteile

Ist Foodsharing Konkurrenz zur Tafel? Viele Anbieter sehen die Mitglieder der Lebensmittelretter als Konkurrenz zur Konstanzer Tafel, der es zurzeit an Lebensmitteln fehlt. Elisa Helms von Foodsharing stellt klar: „Wir arbeiten mit der Tafel zusammen und nehmen nur die Lebensmittel, die für die Tafel nicht geeignet sind, oder die sie selbst nicht mehr verkaufen kann. Auf dem Markt setzen wir uns auch dafür ein, dass die Verkäufer Nahrung an die Tafel geben.“ Einiges davon komme für die Tafel, die rund 400 Bürger mit besonders günstigen Lebensmitteln versorgt, allerdings nicht in Frage. So könne ein Salat, der samstags auf dem Markt übrig bleibt, montags nicht mehr bei der Tafel ins Regal.

Wem obliegt die Haftung? „Die Haftung übernimmt immer der Abholer.“ Wenn die Lebensmittelretter also Nahrung abholen, tragen sie die Verantwortung. Wenn jemand das Essen bei den Lebensmittelrettern abholt, übertragen sich Verantwortung und Haftbarkeit auf ihn.

Inwieweit spielen Haltbarkeitsdaten eine Rolle? Lebensmittel, die die Gruppe rettet, können auch über dem Mindesthaltbarkeitsdatum liegen. „Das sagt aber wenig aus“, ist Raja Kraus überzeugt. „Dieses Datum wird meistens völlig willkürlich aufgedruckt.“ Es bezeichne den Tag, ab dem der Verkäufer nicht mehr für die Qualität garantiert. Dann dürfe das Produkt aber immer noch verkauft werden. Im Gegensatz dazu bezeichnet das Verbrauchsdatum den Tag, an dem ein Lebensmittel aus dem Verkehr gezogen werden muss. Dieses Datum müssen auch die Lebensmittelretter beachten. (thh)

Gesendet von Raja Kraus. (Veröffentlich in Südkurier am 27.12.13)